Kai Whittaker | Bundestagsabgeordneter
Kai Whittaker (*10.04.1985 in Baden-Baden) ist Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Rastatt. Seit seiner ersten Legislaturperiode ist er ordentliches Mitglied im Ausschuss Arbeit und Soziales. Die Themen, die den Ausschuss A&S beschäftigen, sind ganz nah am Leben der Menschen: Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit, soziale Sicherungssysteme und Rente, Inklusion und Teilhabe.
Whittaker, Bundestag, Arbeit, Arbeitsmarkt, Arbeitslosigkeit, Nachhaltigkeit, Rente, Inklusive, Teilhabe, CDU, Menschen, Rastatt, Baden-Baden,
21737
post-template-default,single,single-post,postid-21737,single-format-standard,bridge-core-3.0.4,qode-news-3.0.3,extensive-vc-1.9,qode-page-transition-enabled,ajax_fade,page_not_loaded,, vertical_menu_transparency vertical_menu_transparency_on,qode-title-hidden,qode_grid_1300,footer_responsive_adv,qode-child-theme-ver-1.0.0,qode-theme-ver-29.0,qode-theme-bridge,evc-predefined-style,wpb-js-composer js-comp-ver-6.6.0,vc_responsive

Neuregelung der Organspende – Ich bin für die Widerspruchslösung

Der Deutsche Bundestag entscheidet am Donnerstag, 16. Januar 2020, darüber, wie die Organspende in Deutschland zukünftig geregelt wird. Da es sich um eine ethisch sensible Entscheidung handelt, möchte ich Ihnen als Ihr Bundestagsabgeordneter auf diesem Wege meine Abstimmungsentscheidung mitteilen und begründen.

Ausgangslage
Die bisherige Rechtslage sieht vor, dass eine Person ausdrücklich einer Organspende zugestimmt haben muss. Dies kann beispielsweise durch einen Organspendeausweis dokumentiert werden. Nicht jeder Verstorbene ist automatisch ein möglicher Spender. Als mögliche Spender werden Verstorbene bezeichnet, bei denen der Tod nach dem Hirntodkriterium festgestellt worden ist und bei denen keine medizinischen Ausschlussgründe zur Organspende vorliegen. Da in den meisten Todesfällen der Herzstillstand vor dem Hirntod eintritt, kommen nur wenige Verstorbene für eine Organspende überhaupt in Betracht.

In Deutschland gibt es erheblich mehr Bedarf an gespendeten Organen, als tatsächlich zur Verfügung stehen. Laut Statistik der Deutschen Stiftung Organspende lag die Zahl der möglichen Spender 2018 bei 1.416. Von diesen 1.416 möglichen Spendern hatten sich vorher 1.054 zur Organspende bereiterklärt. Davon musste in 99 Fällen aus medizinischen Gründen auf eine Organentnahme verzichtet werden. Demnach gab es 955 Organspender (2017: 797; 2016: 857; 2015: 877; 2014: 864). Demgegenüber standen in Deutschland etwa 9.500 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Damit kamen in Deutschland auf eine Million Einwohner nur ca. 11,5 Organspender. Im europäischen Vergleich ist das eine der geringsten Spenderzahlen überhaupt.

Vor diesem Hintergrund hat der Deutsche Bundestag bereits im April 2019 das Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende (GZSO) verabschiedet. Dabei haben wir die Rolle der Transplantationsbeauftragten in den Krankenhäusern gestärkt. Sie haben mehr Zeit zur Beratung. Die Krankenhäuser werden angemessen vergütet. Es gibt eine bessere Rufbereitschaft für Ärzte, um transplantieren zu können. Und wir erfassen nun mögliche Spender besser.

Die Zahl der Spender sinkt leider weiter. Etwa alle acht Stunden stirbt in Deutschland ein Mensch, der auf der Organspendewarteliste stand, weil er nicht rechtzeitig ein Organ erhalten hat. Das ist ein schwer erträglicher Zustand.

Entscheidungsmöglichkeiten
Es liegen zwei Anträge vor. Zur Abstimmung stehen der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende (kurz: „Zustimmungslösung“) und der Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der doppelten Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz (kurz: „Widerspruchslösung“).

Die Zustimmungslösung sieht vor, dass sich die Bürger zukünftig auch in ein Register als Organspender eintragen und ihren Willen ebenfalls leicht ändern können – analog, aber auch digital. Darüber hinaus soll es auf Ausweisstellen der Gemeinden möglich sein, sich in das Register einzutragen. Zusätzlich sollen die Hausärzte regelmäßig ihre Patienten ermutigen, sich in das Register einzutragen.

Die Widerspruchslösung hingegen dreht die bisherige Zustimmungslogik um. Demnach gilt jeder Bürger als möglicher Organspender, der zu Lebzeiten keinen Widerspruch erklärt hat. Wenn zugleich auch den nächsten Angehörigen kein entgegenstehender Wille bekannt ist, gilt die Organentnahme als zulässig. Die Bürger sollen die Möglichkeit bekommen, ihre Erklärung zur Organspende in ein Register einzutragen. Dabei kann der Bürger im Register auch erklären, dass ein Angehöriger nach seinem Tod darüber entscheiden soll, ob Organe entnommen werden dürfen.

Entscheidung
Nach vielen Diskussionen mit Bürgern und Experten im Wahlkreis sowie in Berlin werde ich heute für die Widerspruchslösung stimmen. Dafür möchte ich Ihnen die für mich entscheidenden Punkte nennen:

  1. Bereits in den vergangenen 20 Jahren wurde das Organspenderecht mehrfach geändert. Das Ziel war dabei immer, die Zahl der Organspender zu steigern. Das ist uns nicht gelungen. Dabei blieb aber das Prinzip, dass man einer Organspende aktiv zustimmen muss, unangetastet. Ich sehe nicht, wie eine erneute Weiterentwicklung der bisherigen Rechtslage eine massive Trendumkehr bei der Zahl der Organspender bewirken kann. Insbesondere, weil es bei der Zustimmungslösung auch in Zukunft möglich wäre, gar keinen Willen – also weder Zustimmung noch Ablehnung – abzugeben. Mit der Widerspruchslösung gibt es hingegen immer eine Entscheidung, entweder für oder gegen eine Organspende. Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass wir eine grundsätzlich andere Rechtslage brauchen, um eine grundsätzlich andere Situation bei der Organspende zu erreichen.
  2. Im Kern wird bei den beiden Gesetzesentwürfen darüber gestritten, wie weit der Staat gehen darf. Das Medizinrecht in Deutschland kennt in der Regel das Zustimmungsprinzip. Kein Arzt darf an meinem Körper gegen meinen Willen eine Behandlung vornehmen. Damit ist das Selbstbestimmungsrecht gewahrt. Die Konsequenz ist, dass der Staat seinem verfassungsrechtlichen Auftrag Leben zu schützen nicht vollumfänglich nachkommt. Damit nehmen wir den Tod von Menschen billigend in Kauf. Mit der Zustimmungslösung bliebe es bei diesem Rechtszustand.Die Widerspruchslösung würde das Selbstbestimmungsrecht verändern. Will der Bürger dieses Recht für sich über seinen Tod hinaus durchsetzen, müsste er diese Selbstverständlichkeit zukünftig gegenüber dem Staat deutlich machen. Das ist sicherlich eine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts. In der Gesamtabwägung zwischen Lebensschutz und Selbstbestimmungsrecht ist für mich aber klar: Ich kann von einem gesunden Bürger eher verlangen, einer Organspende zu Lebzeiten zu widersprechen, als von einem kranken Bürger zu erwarten, länger auf ein lebensrettendes Organ zu warten und in der Zwischenzeit vielleicht sogar zu sterben. Anders ausgedrückt: Ich halte die Widerspruchslösung für zumutbar, wenn wir dadurch deutlich mehr Menschenleben retten.
  3. Wie bereits erwähnt, warten derzeit ca. 9.500 Menschen in Deutschland auf ein Organ. Konkret heißt das, dass viele von ihnen an lebenserhaltende Maschinen angeschlossen sind. Diese Menschen müssen ihr Leben im Krankenhaus verbringen, anstatt ihrer Arbeit, ihren Hobbies und ihren Freundschaften nachgehen zu können. Für sie ist es ungewiss, ob sie den nächsten Tag erleben werden. Für einige von ihnen dauert dieser Zustand mehrere Jahre. Ihre Angehörigen tragen diese Ungewissheit in ihrem Alltag mit. Als Christdemokrat kann ich Menschen ermuntern, sich aus freiem Willen für die Organspende zu entscheiden. Als Christdemokrat kann ich aber auch erwarten, dass sich jeder Bürger mit diesem Thema beschäftigt, bei sehr jungen oder älteren Menschen ggf. mit Unterstützung von Familienmitgliedern, Bekannten oder Betreuern.Als Mitglied des Deutschen Bundestags muss ich meine Entscheidung vor den betroffenen Menschen und ihren Angehörigen erklären und rechtfertigen können. Denn am Ende zählen in der Politik Ergebnisse, das heißt reale Verbesserungen im Leben der Menschen. Mein Beitrag, meine Hilfe, um das Leben dieser Betroffenen zu verbessern, kann nur daran gemessen werden, ob sie eher ein Organ erhalten können. Allein das zählt. Die bisherige Regelung der Zustimmung hat diese Hoffnung nicht erfüllt. Das ist für mich gewiss. Die neue Regelung der Widerspruchslösung verspricht, diese Hoffnung zu erfüllen. Gewiss ist es nicht. Einen Versuch ist es aber allemal wert.

Bei ethischen Fragen geht es immer um das Ringen um richtige Entscheidungen. Jeder von uns hat seine eigenen Bewertungsmaßstäbe. Mir war es wichtig, Ihnen darzulegen, welche Gründe für meine Entscheidung ausschlaggebend waren. Über Ihre Unterstützung, auch über Ihre offene Kritik, würde ich mich freuen.